Rückblicke

Kritik Schaumburger Nachrichten vom 30. November 2010

Aufgeplustert und maskiert bis zur Kenntlichkeit

Am Schluss bricht er zusammen, geht auf die Knie und hält sich die Ohren zu: Er will nichts mehr wissen von der Welt, von ihren Bewohnern, die alle, wirklich alle, etwas von ihm möchten und von allen Seiten mit unzähligen Händen an ihm zerren. Dabei schien er doch vom Glück geküsst.

Märchenhaft reich, aber keineswegs glücklich: Der Bürger (Peter Reinhold) wird von seiner Umwelt und ihren Wünschen erdrückt.

Obernkirchen (rnk). Geerbt hat er, unermesslich reich ist er jetzt, selbst der Schneiderin kann er eine Schatulle voll Geld als Dank überreichen, als sie ihn mit einem Kostüm ausgestattet hat, das man angeblich auch in den besseren Kreisen trägt. Nur seine Familie und die Hausangestellte erkennen, was er trägt: ein Karnevalskostüm. Es sind die Kleider eines Narren.

Zum 25. Geburtstag hat sich die Schaumburger Bühne viel zugetraut und sich bei der Auswahl des aktuellen Stückes selbst beschenkt. Sie hat keine Krimikomödie, kein elegantes Salonstück, kein süßes Nichts mit schlagenden Türen, Verwechslungen und Schenkelklopfern ausgewählt, sondern sich für ein Lehrstück entschieden: Über einen, den die Götter bestrafen, indem sie ihm seine Wünsche erfüllen. Molières „Der Bürger als Edelmann“.

Die Schaumburger Bühne stemmt die Farce mit der gnadenlosen Komik, weil sie das spürbare Gewicht des Klassikers auf mehrere Schultern verteilt. Zwar muss Peter Reinhold als schauspielerisches Schwergewicht ein Großmaß schultern, aber er hat viel Unterstützung: Oliver Beckers gibt einen hinreißend aasigen Gauner und empfiehlt sich für größere Rollen, Juliane Hünecke darf sich als Hausgehilfin Chantalle austoben und sammelt dabei die meisten Lacher ein, selbst Regine Müller kann in wenigen Minuten als männerfressende und fragwürdige Dorimène ein eigenes Charakterprofil erstellen.

Und Anna Schönbeck, Betina Handelsmann, Claudia Quintern und Andrea Bastert dürfen als Lehrer, die dem künftigen Edelmann die Manieren schleifen und das Geld aus der Tasche ziehen, in einem hinreißenden Reigen feine Farbtupfer setzen. Allein diese eine, sehr lange Szene wäre schon den Eintritt wert.

Molières Komödie über den neureichen Bürger Jourdain nimmt das Streben des Mannes aus dem Volk, auch zu den Schönen und Erfolgreichen gehören zu wollen, seit Jahrhunderten scharfzüngig aufs Korn. Regisseur Morche und die Bühne bieten in diesem Jahr ein buntes Spektakel an, das heutige Elemente von der Sesamstraße („Manamana“), Pop und Schlager mit einem klassischen Chor verbindet und mit einer Parabel über einen Frosch beginnt, der sich aufbläst und aufpustet und nicht ahnt, was auf ihn zukommt: ein Schicksal, das ihm kalt und ungerührt fürs viele Pusten schnell was hustet. Da möchte man sich dann klein machen und mit den Händen die Ohren zuhalten.

Das Thema ist ja noch immer hochaktuell: Für ein bisschen Glanz, für ein paar Minuten Ruhm, für einen Fernsehauftritt nehmen immer mehr Bloßstellung, Häme und Ausbeutung in Kauf – in Talentshows und Modelwettbewerben ist zu sehen, dass davon eine ganze TV-Industrie gut lebt. Molière ist uns näher, als wir manchmal wahrhaben wollen.

Konsequent verzichtet Janin Pöhler auf ein „richtiges“ Bühnenbild: Ein paar Stühle, ein paar Laken und eine kleine Bühne zeigen, dass dieser Edelmann, der die Promenade mit der Serenade verwechselt, überall auf der Welt zu Hause ist. Bei der Schaumburger Bühne gibt Peter Reinhold den märchenhaft Reichen als tumben Toren, der in der Mitte seines Lebens das Glück seiner Lieben allen Lebenswünschen opfern wird und dabei sich selbst zu verlieren droht.

Für alle anderen sind dagegen die Wünsche wahr geworden. Drei Paare liegen sich in den Armen; man wünscht ihnen alles Gute und zweifelt doch nach dieser weiten Reise in die Seele des nach seiner neuen gesellschaftlichen Stellung suchenden Superreichen, ob sie gelernt haben und es besser machen werden.

Pointiert, prägnant, präzise: In ihrem Jubiläumsjahr zeigt die Bühne, dass sie über die Jahre an ihren Aufgaben gewachsen ist, legt mit dem „Bürger als Edelmann“ ihre Gesellenprüfung vor und lässt immer wieder durchschimmern, wie viel Witz im Wahnsinn und wie viel Wahnsinn im Witz stecken kann. Es war die bislang beste Leistung der Laien.

Autor: rnk

Quelle: Schaumburger Nachrichten 30.11.2010