Aktuelles, Pressestimmen, Saison 20/22 Raub der Sabinerinnen

Schaumburger Bühne glänzt mit „Der Raub der Sabinerinnen“

Die Rezension in der Schaumburger Zeitung von Autors Volkmar Heuer-Strathmann vom 29.11.2021.

OBERNKIRCHEN. Luise Striese ist außer sich. Fünfunddreißig Vorhänge seien es gewesen, berichtet Yvonne Schneider total überdreht. Sie ist die Frau des Wandertheaterdirektors Emanuel Striese, der eben noch so verzweifelt war und tobte. Sie hat mitgewirkt, man hat triumphiert mit dieser pubertären antiken Entführungsgeschichte.

Lange, aber doch etwas kürzer währte auch der Beifall, den es am Ende der Premiere des Stücks „Der Raub der Sabinerinnen“ für das Ensemble der Schaumburger Bühne in der Aula des Schulzentrums Obernkirchen gab. Doch ob es zu Silvester in Stadthagen im Ratsgymnasium weitergehen kann mit der neuen Produktion der Schaumburger Wanderbühne, vermag niemand zu sagen.

Gegeben wird eine Enthüllung. Da wollen wir uns etwas bedeckt halten mit der Offenbarung dessen, was diesen Erfolgsstoff der Gebrüder Schönthan aus dem Jahre 1884 ausmacht, den das Ensemble unter der Regie von Jürgen Morche noch ein wenig aufgefrischt und zugespitzt hat. Statt mitzuspielen, war der theaterbesessene Mindener diesmal als Techniker im Einsatz und hatte mit den knackigen Verlautbarungen des Papageien Cicero, Droschkengeräuschen, Musik aus jener Zeit und etwas Kanonendonner aus der Konserve gut zu tun.

Da ist dieser Gymnasialprofessor Gollwitz, ein Altphilologe mit Standesdünkel. Als junger Mann hat er so manchen sinnschweren Vers notiert. Auch Lustbarkeiten. Jürgen Hocker gibt den angeblich so Belesenen als älteren, leicht verstockten Ehemann und Vater, der weiß, wie viel Gebaren und Gehabe nötig ist, um in der Ständegesellschaft zu reüssieren. Daheim nicht minder. Gattin Friedericke, von Evi Dopheide als „Vollweib“ mit großer Sinnlichkeit und Herzensgüte gespielt, wirkt auch schon mal etwas verschlagen, mal etwas schlicht. Der Likör lässt ihre Augen leuchten, ein Foto von einem stattlichen jungen Recken ebenfalls.

Frau Professor liefert Herrn Professor Gründe, an Trennung zu denken. Zugleich sieht der Patriarch alter Schule in dem Besuch jener Theatergruppe die Möglichkeit, dass sein natürlich in Rom angesiedeltes Jugendstück „Der Raub der Sabinerinnen“ doch noch – natürlich unter Pseudonym – auf die Bühne gebracht wird, ehe die Götter der Antike den großen Geist abberufen.

Die Sache nimmt ihren Lauf. An Situationskomik und Typenlehre ist kein Mangel. Dieser Egomane Striese ist ganz begeistert. Schauspiel ist sein Metier, das zeigt jede seiner Szenen, da Peter Reinhold alle Register der Charakterzeichnung zieht. Er schwadroniert und lamentiert, alles in sächsischer Mundart, er plaudert und palavert, er imitiert bereits gelaufene Bühnenszenen und vergisst nicht, auch „sein“ Publikum in dieser Provinz mal kurz anzublitzen.

Da Yvonne Schneider – mit etwas weniger Worten, eben ganz Frau – ebenfalls brilliert, könnte das echt noch was werden mit dieser Wanderehe, zu der die mit dem Erfolg ihrer Version der „Sabinerinnen“ ins Spiel gebrachte Vision spießiger Sesshaftigkeit so gar nicht passen will.

Oliver Beckers wird mancher treue Fan der Gruppe womöglich nicht sogleich wiedererkennen. Es ist nicht allein die Frisur, die ihn in der Rolle des Schauspielers Emil so attraktiv macht. Es ist auch Ehrlichkeit, die in der bornierten Welt zumindest den Frauen manchmal angenehm auffällt. Endlich nicht mehr unter Medizinstudenten in Leipzig in Zucht und Aufzucht wie ein Dressurpferd, kann er als Bühnenrömer aufblühen und auch libidinös nachrüsten. Die kleine Lehrstunde bei Schauspielerin Luise Striese weckte wahre Begeisterung in der recht gut besuchten Aula. Vorglühen gehört auch zum Gastspiel der Gruppe, da er Paula Gollwitz begegnet, von Katrin Rohde überaus überzeugend mit Zügen einer modernen Frau versehen, die mehr will vom Leben als süßen Likör und muffige Sofastunden auf Lebenszeit.

Nicht zu unterschätzen in diesem Gefüge aus Machenschaft, Liebreiz und Wohlverhalten ist Rosa, das Hausmädchen. Natürlich kann sie lesen und vorlesen. Natürlich hat sie das „Raub“-Stück verstanden und die Ehe der Herrschaften durchschaut, sonst würde Annette Hilsch nicht so oft so nachdenklich blicken und so unverzagt agieren.

Als Berlinerin (ohne „Schnauze“) fällt Mathilda Gros, die Mutter von Emil, natürlich aus dem Rahmen. Modern gekleidet, etwas überheblich daherredend, stets erlebnishungrig, aber auch wie im Nebenamt voll die besorgte Mutter, gibt Anna Schönbeck der Figur aus der als preußisch beargwöhnten Metropole etwas herrlich Schillerndes.

Bleibt Cicero, der Papagei. Ihm ist alles zuzutrauen. Ein Sinnsucher eben. Ein Tier mit Texten aus dem wirklichen Leben. Nicht Ludus Latinus. Ob er wirklich die ganze Aufführung des „Raubs der Sabinerinnen“ im Schützenhaus gerettet hat, indem er „Gib Küsschen“ sagte, wo das Manuskript ganz andere Töne vorsieht? Eine tierisch gute „Parodie“ des Professorenstücks?

Luise weiß es. Sie demonstriert es. Alle hören es. Ein Kunstgriff der Regie, das Bühnengeschehen im Schützenhaus wie schon zuvor mit funkelnden Diamanten von Reinhold wieder durch Imitation in die gute Stube zu holen! Am Ende Partystimmung im heimeligen Professorenhaus. Selbst der Gymnasialprofessor wird erfasst von Taumel und Trubel. Da müsste es doch eine kleine Belobigung durch den ehedem noch so unverständigen promovierten Provinzkritiker vom „Tageblatt“ geben.

In schwierigen Zeiten voller Wirrnisse und Unwägbarkeiten auf anspruchsvolle Weise zu unterhalten, ehe Cicero demnächst doch wieder „Lockdown“ krächzt, das haben die Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihrem Regisseur Jürgen Morche und dem Kreativteam aus Claudia Quintern (Bühnenbild), Nadine Olivier (Kostümbild) und Alice Fiestelmann (Menschenbild), unterstützt von der Sparkasse Schaumburg, glanzvoll, ja fast fleckenlos bewältigt. Gefühlt dreieinhalb Vorhänge, das ist viel im Schaumburger Land – und überall Jubel, auch auf der Bühne!